«In der Prävention haben wir viel Luft nach oben»

Bergsteigen, Präventionsarbeit, Medical Master: Im grossen links-Interview gibt Gesundheitsdirektorin Heidi Hanselmann Antwort auf aktuelle Fragen, die sie im Moment beschäftigen.

 links: Im Sommer zieht es Dich jeweils ins Hochgebirge: Welchen Gipfel hast Du diesmal erklommen?

Heidi Hanselmann: Den Margherita Peak im Ruwenzori-Gebirge. Er ist mit 5‘109 Metern der höchste Punkt in Uganda. Der Aufstieg führt durch Dschungel- und Sumpfgebiet, vorbei an skurrilen Eisformationen und schliesslich über einen steilen Gletscher zum Gipfel.

Was hat dich bei dieser Tour am meisten beeindruckt?

Täglich viele kleine Dinge: die Stimmen der Natur, die tropische Pflanzenwelt, der schnelle Wechsel von Regen und Sonnenschein, die eisige Kälte unter der afrikanischen Sonne und die wunderbaren Menschen in der Seilschaft. Natürlich gehört das Glücksgefühl auf dem Gipfel auch dazu. Dieser unbeschreibliche Moment erfüllte mich mit Demut, Ehrfurcht und unendlicher Dankbarkeit.

Du bist für deine sportliche Natur bekannt. Warum ist Sport für Dich so wichtig?

Sport ist ein kostengünstiges Allzweckmittel für die Gesundheit. Das Beste ist: Es braucht keine stundenlangen Spitzenleistungen. Es genügt bereits, wenn man sich täglich 20 Minuten so bewegt, dass Atmung und Kreislauf in Schwung kommen. Bewegung hilft auch zum Abschalten und Entspannen. Ein gesunder Lebensstil lohnt sich, dadurch können wir unsere Gesundheit zu 40-50 Prozent beeinflussen.

Du bist Präsidentin der Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz und vertrittst darin die Kantone. Wieso hat dich dieses Amt gereizt?

Gesundheit ist ein Thema mit vielen Facetten und das höchste Gut, das wir haben. Das will gepflegt sein. Es ist mir ein zentrales Anliegen, diese «Gesundheitsbeziehungspflege» auch auf Bundesebene gezielt mitzugestalten, insbesondere mit Blick auf die Prävention. Da haben wir in der Schweiz noch viel Luft nach oben. Und das, obwohl bereits viele Studien aufzeigen, dass die Investition in die Gesundheitsförderung eine der besten Sparmassnahmen ist.

Die Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz investiert jährlich über 20 Mio. Franken in die Prävention und Gesundheitsförderung. Wo setzt sie an?

Bei Jungen bis hin zu SeniorInnen. 20 Millionen für Prävention sind im Vergleich zu den rund 60 Milliarden Krankheitskosten pro Jahr ein verschwindend kleiner Betrag. Gesundheitsförderung Schweiz hat den gesetzlichen Auftrag, Massnahmen zur Förderung der Gesundheit und zur Verhütung von Krankheiten anzuregen, zu koordinieren und zu evaluieren. Das langfristige Ziel ist eine gesündere Bevölkerung in der Schweiz.

Wo steht unser Kanton in Bezug auf die Gesundheitsvorsorge?

Er nimmt eine Vorreiterrolle ein. Vor den Sommerferien lancierten wir zwei neue Programme «Psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen» und «Gesund alt sein». Sie legen den Fokus auf Ernährung, Bewegung und psychische Gesundheit und richten sich an Kinder, Jugendliche und ältere Menschen. Beispielsweise kann die Häufigkeit von Stürzen mit Training um bis zur Hälfte reduziert werden. Verhinderte Stürze bedeuten hohe Lebensqualität und Kosteneinsparungen. Denn sie vermeiden Operationen und Pflegeheimeintritte. Weiter arbeiten wir eng mit den Gemeinden zusammen, dazu gehört die neu aufgelegte Broschüre «Ihre Gemeinde – gesund und lebenswert».

Im November 2014 stimmte die St.Galler Stimmbevölkerung mit teilweise über 80 Prozent Ja-Stimmen verschiedenen Neubauten der kantonalen Spitäler zu. Wo stehen die Bauprojekte derzeit?

Die meisten Bauprojekte sind auf Kurs. Wie überall gibt es auch Einsprachen, die zu Verzögerungen führen können. So geschehen und mittlerweile bereinigt beim Spital Linth.

Die bürgerliche Kantonsratsmehrheit zwang Dich, letztes Jahr aus dem Verwaltungsrat der St.Galler Spitalverbunde zurückzutreten. Wer trägt denn jetzt die politische Verantwortung für die Entwicklung der öffentlichen Spitäler?

Mit diesem Entscheid hat der Kantonsrat eine klare Trennung der politischen und der unternehmerischen Ebene erreichen wollen. Die Politik – Regierung und Kantonsrat – gibt basierend auf den gesetzlichen Grundlagen und der Eignerstrategie die grossen Rahmenbedingungen vor, wie beispielsweise Standorte oder Zusammensetzung des Verwaltungsrats. Die unternehmerische Führung und Entwicklung der vier kantonalen Spitalunternehmen liegt nun aber in der Verantwortung des Verwaltungsrates.

Ist so der Ausbau der öffentlichen Spitäler weiterhin gewährleistet?

Es handelt sich nicht um einen eigentlichen Ausbau der Spitalunternehmen, sondern vielmehr um eine notwendige Erneuerung und Modernisierung. Diese ist nach dem mehr als 15-jährigen Baumoratorium dringend notwendig, wenn unsere öffentlichen Spitäler im immer härter werdenden Wettbewerb konkurrenzfähig bleiben sollen. Die Zustimmung des St.Galler Stimmvolks zur Modernisierung ist Vertrauensbeweis für die Netzwerk- und Gruppenstrategie und Auftrag zugleich. Es liegt nun in der Verantwortung des VR, den Volkswillen umzusetzen.

Wo liegen im stationären Bereich die grössten Herausforderungen?

Diese sehe ich bei Fehlanreizen in der Finanzierung, bei überhöhten Medikamentenpreisen, bei der demografischen Entwicklung und beim Fachkräftemangel. Dazu kommt die hohe Erwartungshaltung der Betroffenen an eine schnelle und hochqualifizierte Behandlung. Wirksame Massnahmen sind Angebotskonzentrationen und die Erstellung von sogenannten Operationslisten mit Eingriffen, die grundsätzlich ambulant durchgeführt werden sollen. Eine solche Liste soll schweizweit einheitlich sein.

Alternativen wie eine öffentliche Krankenkasse oder einkommensabhängige Prämien sind bisher gescheitert. In vielen Kantonen wird die Prämienverbilligung zusammengestrichen. Warum ist das so?

Die meisten Kantone haben massive Sparprogramme umsetzen müssen. Die Prämienverbilligung ist dann meist dem Rotstift zum Opfer gefallen. Die Politik vergisst dabei, dass die Prämienverbilligung als soziales Korrektiv eingeführt wurde, eben gerade weil wir keine einkommensabhängigen Prämien haben.

Du bist Vizepräsidentin der Konferenz der kantonalen GesundheitsdirektorInnen (GDK). Was tut dieses Gremium für eine bezahlbare Gesundheitsversorgung?

Prävention nimmt einen hohen Stellenwert ein. Aktuell kämpf die GDK gegen Fehlanreize in der Finanzierung. Sie bekämpft Kostenverschiebungsmodelle, die zurzeit auf nationaler Ebene diskutiert werden. Die GDK lehnt die einheitliche Finanzierung ab, weil sie wesentliche Fehlanreize im heutigen System (Tarifstruktur, Zusatzversicherungen) nicht beseitigt. Unser Motto lautet: Gesundheitskosten sparen, statt verschieben. Ein radikaler Systemumbau würde im politischen Prozess gut zehn Jahre dauern, wenn er überhaupt zustande käme. Schnell umsetzbar wären hingegen Operationslisten. Eine Studie von PWC zeigt Einsparungen von 500 Mio. Franken jährlich. Heute sind die finanziellen Anreize falsch gesetzt: Für eine ambulante Meniskus-Operation werden 2‘400 Franken verrechnet. Im Spital kostet der gleiche Eingriff hingegen 3‘700 Franken.

Wo steht das Projekt Medical Master? Wird er alle Nachwuchssorgen in den Ostschweizer Spitälern beseitigen?

Nein, dafür braucht es verschiedene Anstrengungen. Das neue Angebot des «Joint Medical Master» in St. Gallen mit 20 Studienplätzen ist eine davon. 86 MaturandInnen haben sich für den «St.Galler Track» entschieden. Das zeigt, dass die Themen Grundversorgung und Interprofessionalität auf Interesse stossen. Bereits diesen Herbst startet das neue St.Galler Medizinstudium. Die Studierenden werden ihr Bachelorstudium vorwiegend an der Universität Zürich absolvieren und für das Masterstudium nach St.Gallen wechseln.

Interview: Guido Berlinger-Bolt, politischer Sekretär SP SG

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