FÜR MENSCHENRECHTE UND MEHR INTERNATIONALE ZUSAMMENARBEIT

Wir haben die Kohäsionsmilliarde für die EU endlich freigegeben und einen griffigen Gegenvorschlag zur Korrekturinitiative beschlossen, damit die Schweiz keine Waffen in Bürgerkriegsländer mehr exportiert. Und wir haben ein nationales Menschenrechtsinstitut geschaffen. Zu reden gaben auch Afghanistan und China. Die geplante, weitere Abschaffung eines Teils der Stempelabgabe hat der Nationalrat jetzt von sich aus abgebrochen, das Damoklesschwert unseres Referendums scheint den Bürgerlichen im Nacken zu stecken. Ohne Steuergeschenk an die Wirtschaft geht es aber dennoch nicht: Die Industriezölle werden vollständig abgeschafft. Der Sessionsbericht von Claudia Friedl, Nationalrätin.

Eine wahre Irrfahrt hat das Geschäft der Kohäsionszahlung an die ärmeren EU-Länder von 1,3 Milliarden Franken hinter sich. Am Donnerstagabend, um 21 Uhr stand fest: Die Kohäsionsmilliarde wird freigegeben. Mit 121:55:1 stimmt der auch der Nationalrat zu, nachdem der Ständerat am Morgen vorlegte. Dagegen waren nur die SVP und einige Mitteleute. Die Diskussion artete in eine SVP Fragestunde aus, indem sie Köppel mit Fragen überhäuften und dieser eine Predigt nach der anderen halten konnte. Ich musste beim Ratspräsidenten intervenieren, dass er zum Wesen der Diskussion, «kurze Frage – kurze Antwort», zurückkam. Wichtig war für uns SP-Nationlarät*innen, dass der Bundesrat dem Parlament in der kommenden Wintersession die Finanzierungsbotschaft für die Vollassoziierung am Bildungsprogramm Erasmus plus vorlegen muss. Wir hatten eine solche, zugegebenermassen etwas gesuchten Verknüpfung mit der Kohäsionsmilliarde eingebracht. Das Powerplay ist aufgegangen: Das Anliegen wurde nun als Motion an den Bundesrat überwiesen und deshalb von der Zahlung entkoppelt.

Wir beantragten eine dringliche Debatte zu Afghanistan. Die Fraktionen reichten dazu Interpellationen ein. SP, Grüne und Grünliberale verlangen, dass mehr Resettlement-Flüchtlinge aufgenommen werden. Das scheiterte an SVP, FDP und der Mitte. Auch Bundesrätin Karin Keller-Sutter lehnte dies ab, mit der Begründung, in Afghanistan gebe es gar keine vom UNHCR anerkannte Resettlement-Flüchtlinge. Dass es aber auch um die vielen geflüchteten AfghanInnen in den Nachbarländern Pakistan und Iran geht, wurde ignoriert. Der Einsatz von humanitärer Hilfe war immerhin weitgehend unbestritten.

Das Schweizerische Kompetenzzentrum für Menschenrechte soll in ein Nationales Institut für Menschenrechte umgewandelt werden. Menschenrechte sind universelle Individualrechte, die in der Verfassung und in unseren Gesetzen geschützt sind. 1993, also vor bald 30 Jahren, verabschiedete die UNO-Generalversammlung die Resolution 48/134 in welcher sie die Mitgliedstaaten aufforderte, Nationale Menschenrechtsinstitute gemäss den sogenannten Pariser Prinzipien zu schaffen. 120 Staaten, darunter fast alle Mitglieder der EU kennen bereits eine solche Einrichtung. Die Schweiz hat es erst jetzt geschafft. Knackpunkt wird die Finanzierung sein. Geht es nach dem Bundesrat wird das Institut mit je 1 Million von Bund und Kantonen mager gehalten. Das Geld soll übrigens aus der Friedensförderung des Aussendepartements EDA kommen, obwohl es sich um innerschweizerische Themen handelt wie beispielsweise Kinderrechte, Rechte der Menschen mit Behinderung oder der LGBTQIA-Community.

Immer wieder bewegt das Verhältnis der Schweiz zu China. China ist unser 3. grösste Handelspartner und damit wirtschaftlich wichtig. Die schweren Menschenrechtsverletzungen wollen wir aber immer weniger hinnehmen. Der Bundesrat wurde jetzt mit einer gutgeheissenen Motion der Aussenpolitischen Kommission wieder beauftragt, den Menschenrechtsdialog mit China konkreter und systematischer zu führen. Die bürgerliche Mehrheit lehnte es mit 102 zu 84 Stimmen aber ab, eine Menschenrechtsklausel ins zu erneuernde Freihandelsabkommen mit China aufzunehmen. Die Wirtschaft hat sich da erfolgreich gewehrt.

Ein richtiger Erfolg ist der Gegenvorschlag zur Volksinitiative «Gegen Waffenexporte in Bürgerkriegsländer (Korrekturinitiative)». Die Initiative war ursprünglich die Antwort darauf, dass die Waffenlobby immer unverfrorener ihre Interessen beim Bundesrat durchsetzen konnte. Jetzt wurden die Bedingungen klar und eng gefasst und auf Länder im bürgerkriegsähnlichen Zustand ausgeweitet. Zudem konnte in der letzten Verhandlungsrunde auch die eingebaute Ausnahmeklausel gestrichen werden, welche es dem Bundesrat erlaubt hätte, eigentlich wieder zu machen, was er wollte. Der Gegenvorschlag ist nun genug griffig, um Kriegsmaterialexporte in Bürgerkriegsländer zu verhindern. Die Initiant*innen sind mit dem Gegenvorschlag zufrieden und kündigen an, die Initiative zurückzuziehen.

Im Schnellverfahren und ohne Vernehmlassung wurde von den Bürgerlichen ein Gesetz verabschiedet, durch welches abgewiesene Asylbewerber künftig zu einem Covid-Test gezwungen werden können, wenn dieser für die Ausschaffung notwendig ist. Das dringliche Gesetz muss noch in den Ständerat und tritt dann sofort in Kraft. Für uns ist dieses Gesetz völlig unverhältnismässig. Es eröffnet Gewalt Tür und Tor und betrifft bis jetzt rund 50 Fälle.

Die Schweiz wird sich nicht an der «Koalition der Willigen» beteiligen, um aus Seenot gerettete Flüchtlinge aufzunehmen. 97 Nationalrät*innen waren dagegen, 92 dafür. Die Gegner argumentierten, das System würde Dublin ausser Kraft setzen, weil man Flüchtlinge aus Ländern mit Meerzugang aufnehmen würde. Es ist aber völlig unsolidarisch von der Schweiz, Länder mit Meerzugang bei der Aufnahme von Flüchtlingen nicht zu entlasten.

Die Schweiz soll mehr zur Abschottung der Schengen-Grenze beitragen. Wir verlangten im Gegenzug, dass das Kontingent für Resettlement-Flüchtlingen auf mindestens 4000 Personen pro Jahr aufgestockt wird. Damit sind wir unterlegen. Deshalb war für uns klar, dass wir nicht mithelfen, Europa abzuschotten, ohne Menschen, die in Gefahr sind, aufzunehmen. Mit 88:80:28 Stimmen war die Schlussabstimmung eng, die Motivation für ein Nein war aber sehr unterschiedlich. Neben den Stimmen von SP und Grünen kamen auch solche der SVP dazu.

Gleichstellung und Wohlfahrtsstaat

Es ist ein bekanntes Phänomen: Im Sport sind die Gelder für Frauen und Männer nicht gleich verteilt. Jetzt soll der Bundesrat in einer Analyse aufzeigen, wie viele Bundesgelder in die Nachwuchsförderung von jungen Sportlerinnen geht und wie viel in den männlichen Nachwuchs. Der Vorstoss wurde von einer Mehrheit unterstützt, dagegen sprachen sich SVP, FDP und einige aus der Mitte aus. Gleichstellung ist ihnen offensichtlich egal. Diana Gutjahr von der SVP sprach von «weiteren Seiten Papier für nichts». Na ja.

Der Kinderabzug für die externe Kinderbetreuung wird auf 25’000 Franken erhöht. Damit sollen Paare animiert werden, im Beruf zu verbleiben. SVP und Mitte wollten wieder einen allgemeinen Kinderabzug in die Vorlage aufnehmen. Das wäre dann exakt die gleiche Vorlage gewesen, die Dank unseres Referendums an der Urne gescheitert ist. Eine Mehrheit lehnte dies aber ab und die Vorlage ging mit 141:46:9 Stimmen in der Schlussabstimmung durch.

Umwelt

Zum vierten Mal wird das Moratorium für den Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen in der Landwirtschaft um weitere vier Jahre bis Ende 2025 verlängert. Die Forschung ist davon ausgenommen. Durch das Moratorium soll mehr Zeit gewonnen werden, um faktenbasierten Entscheidungen treffen zu können. Gerade die neuen Techniken bringen neue Fragestellungen mit sich, die abgeklärt gehören, bevor die Pflanzen im grossen Stil in die Umwelt ausgebracht werden.

Beim Klimaschutz gilt es nach dem gescheiteren CO2-Gesetz nun Schaden zu begrenzen. Als erstes haben wir als Übergangslösung die bestehenden, aber auslaufenden CO2-Reduktionsziele verlängert. Wie verhärtet die Fronten sind, zeigt sich darin, dass die SVP sich sogar dagegen stellte. Ohne die Verlängerung hätte die Schweiz ab 2022 keine gesetzlichen Verminderungsziele für Treibhausgasemissionen mehr.

Ebenfalls angenommen hat das Parlament einen Vorstoss, welcher die Einmalvergütung für neue Windenergie-, Kleinwasserkraft-, Biogas-, Fotovoltaikanlagen ab 100 kW fordert. Die Schlussabstimmung war mit 190 zu 5 sehr deutlich. Solche punktuellen finanziellen Massnahmen sind derzeit das einzige, was durchkommt. Wobei sie auch nicht immer ganz unproblematisch in Bezug auf die Auswirkungen auf die Umwelt und Natur sind.

Eine Mehrheit aus SVP und ExponentInnen von FDP und der Mitte hat neun kantonale Standesinitiativen abgelehnt, welche eine Flugticketabgabe oder eine Kerosinsteuer einführen wollten. Begründung: Im CO2-Gesetz hätten die StimmbürgerInnen diese Massnahme abgelehnt. Obwohl es ja mehr als fraglich ist, dass das CO2-Gesetz wegen dieser Abgabe verworfen wurde. Derzeit scheint fast nichts mehr möglich. Wie wir so die Netto-Null schaffen wollen, ist mehr als fraglich. Da helfen auch überwiesene Einzelmassnahmen wenig, wie der Vorstoss, dass der Bund mit den Kantonen schauen, muss, dass alle geeigneten Neubauten auf der geeigneten Dachseite mit Sonnenkollektoren statt mit Ziegeln gedeckt werden.

Ein schwieriges Thema ist immer auch der Gewässerschutz. Diesmal ging es um Gewässerräume in Landwirtschaftszonen. Diese sollen verkleinert werden. Die heutige Regelung ist ein Kompromiss, entstanden als Gegenvorschlag zur Initiative «Lebendiges Wasser» des Fischereiverbands vor rund zehn Jahren. In vielen Kantonen laufen die Ausscheidungen bereits und sind eigentümerverbindlich. Nun sollen die Spielregeln geändert werden und Gewässerräume reduziert werden. Damit verschwindet Lebensraum und sinkt die Hochwassersicherheit. Ein Bauernstreich sondergleichen. Mit viel Überzeugungsarbeit ist es gelungen, diesen zu bodigen. Mit 100 zu 84 wurde dieses Störmanöver abgelehnt.

Die Herkunft von Lebensmitteln, die im Ausland hergestellt oder zubereitet werden, soll mit der eindeutigen Deklaration des Herkunftslandes gekennzeichnet werden. Damit soll die Transparenz bestärkt werden, damit Konsumenten wissen, was sie kaufen.

Ein immer wiederkehrendes Anliegen ist die Erdbebenversicherung. Der Bundesrat ist jetzt beauftragt worden, ein Gesetz für eine nationale Erdbebenversicherung auszuarbeiten. Die Versicherung soll auf einer Eventualverpflichtung beruhen. Dadurch werden Prämien für die HausbesitzerInnen erst fällig, wenn es tatsächlich zu einem grossen Erdbebenereignis kommt. Dann zahlen einfach alle, auch die, die keinen Schaden haben. Jetzt muss aber erst einmal ein Vorschlag ausgearbeitet werden.

Wirtschaft und Kultur

Eine neue Entlastung für die Wirtschaft: Das Parlament hat die Industriezölle vollständig abgeschafft. Der Nationalrat hat dies mit 106 Ja- zu 75 Nein-Stimmen beschlossen. Das Nein kam von uns Linken sowie einigen aus der Mitte. In der Junisession war der Rat noch nicht darauf eingetreten. In der Zwischenzeit hat die Wirtschaftslobby genug Druck gemacht, sodass es jetzt durchkam. Durch die Abschaffung entgehen dem Bund jährlich rund 500 Millionen Franken. Geld, das im Budget fehlt und wohl nicht beim Militär eingespart wird, aber bei sonst wichtigen Aufgaben fehlt, z.B. Finanzierung der Pflegeberufe.

Es war nicht von Anfang an klar, ob diese Vorlage durchkommt. Es geht um Geld für unsere Filmbranche. Streaming-Anbieter wie Netflix, Amazon oder Disney müssen künftig vier Prozent ihres Schweizer Umsatzes in Schweizer Filmproduktionen investieren. Damit sollen jährlich rund 30 Millionen Franken zusätzlich in das Schweizer Filmschaffen investiert werden. Das ist eine massive Steigerung, gilt zu hoffen, dass sich dies in guten Schweizer Filmen niederschlägt.

Eine erfreuliche Wende nahm ein anderes Projekt der Wirtschaft: Die Stempelabgabe auf dem Umsatz von inländischen Urkunden und auf der Zahlung von Lebensversicherungsprämien wird nicht abgeschafft. Der Nationalrat ist mit 182 zu 1 Stimme gar nicht auf die Vorlage eingetreten. Wegen unserem Referendum gegen die Abschaffung der Stempelsteuer auf Eigenkapital haben die bürgerlichen wohl Schiss bekommen, eine weitere Scheibe der Salami abzuschneiden, bevor das Referendum durch ist.

Varia

Der Bundesrat soll überprüfen, ob das elektronische Sammeln von Unterschriften für Initiativen und Referenden in Zukunft eine Option sein könnte. Der Nationalrat nahm ein Postulat seiner Staatspolitischen Kommission an. Nur die SVP war dagegen, da sie grundsätzlich gegen E-Collecting ist. Hingegen will er nichts von einem Verbot von bezahlten Unterschriftensammlungen bei Initiativen und Referenden wissen. Er hat eine Motion von als SP-Nationalrat Mathias Reynard abgelehnt.

Die Organspende wird neu geregelt, weil immer noch viel zu wenig Organe zur Verfügung stehen. Neu soll eine eingeschränkte Widerspruchslösung gelten. Damit ist man automatisch SpenderIn, wenn man keinen expliziten Willen dagegen geäussert hat und wenn die Angehörigen nicht dagegen sind. Die Vorlage ist ein indirekter Gegenvorschlag zur Volksinitiative «Organspende fördern – Leben retten». Die Initiative wird vermutlich zurückgezogen.

Ein Lichtblick war die Abstimmung darüber, ob AsylbewerberInnen die Lehre nach einem negativen Entscheid abbrechen müssen, wie das heute der Fall ist. Der Nationalrat stimmte einer Motion, die keinen Abbruch will mit 118:71 zu.

Das Parlament hat einen indirekten Gegenvorschlag zur Initiative “Ja zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Tabakwerbung” angenommen, welcher neue Werbe- und Sponsoringvorschriften für Tabakprodukte einführt. Das mit 87 zu 77 Stimmen bei 27 Enthaltungen. Wir waren dagegen, weil der Jugendschutz in der Vorlage zu schwach ist. Deshalb unterstützen wir die Initiative.

 

Ich hoffe nun sehr, dass dies die letzte Session unter dem strengen Corona-Regime war. Im Bundeshaus wird nun auch das Covid-Zertifikat eingeführt. So lassen sich hoffentlich bald alle impfen.

Herbstliche Grüsse

Claudia Friedl

Nationalrätin SP SG

 

 

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